In unserer Serie „Packende Geschichten“ führen wir Sie zu den Ursprüngen heutiger Verpackungsklassiker. Nachdem wir zuletzt die Entwicklung von Papier- und Plastiktragetaschen beleuchtet haben, widmen wir uns in dieser Ausgabe den Anfängen der Wellpappe.
Das Prinzip der Welle als tragendes Element war in Form klassischer Rundbögen bereits in der Architektur der Antike hinlänglich bekannt. Die Entwicklung der Wellpappe ließ jedoch bis in die Hochphase der industriellen Revolution auf sich warten. Gewelltes Papier fand erstmals Mitte des neunzehnten Jahrhunderts urkundliche Erwähnung: 1856 meldeten die Briten Edward Charles Healey und Edward Ellis Allen ein Verfahren zur Riffelung von Papieren, Furnieren und Webstoffen in London zum Patent an. Die beiden Engländer beabsichtigten jedoch nicht die Fertigung von Packstoffen – die geriffelten Werkstoffe sollten als stabilisierende Einlage von Hüten und Koffern dienen. Der Schritt zur Verpackung erfolgte erst 25 Jahre später: Die Fertigung von Halskrausen und Rüschen mittels sogenannter Plissiermaschinen brachte den New Yorker Albert L. Jones auf die Idee, statt textiler Werkstoffe Papier durch die gefrästen Walzen zu führen. Das Ergebnis war ein geriffeltes Wellenpapier, welches sich aufgrund seiner Elastizität und Festigkeit ideal zum Einwickeln und Versenden von Flaschen, Phiolen und Glaslaternen eignete. Am 19. Dezember 1871 ließ Jones sein Verfahren zur „Verbesserung von Papier zu Verpackungszwecken“ patentieren. Er gilt somit als „Vater der Wellpappe“, wenngleich es sich hierbei noch nicht um Wellpappe im klassischen Sinne handelte.
Drei Jahre später gelang es dem Amerikaner Oliver Long, das von Jones patentierte Wellenpapier mit einer glatten Bahn zu verkleben und so erstmals eine einseitige Wellpappe herzustellen. Die papierene Leichtbaukonstruktion überzeugte als leichtes, aber dennoch enorm stabiles Packmaterial – die Patentierung folgte am 25. August 1874. Im selben Jahr wurde eine erste große Maschine zur Wellpappenherstellung in Betrieb genommen. Gerüchten zufolge wurde diese aus alten Kanonenrohren des amerikanischen Bürgerkriegs gefertigt. Die Anlage war für Arbeitsbreiten bis maximal 90 cm ausgelegt. Das Produktionsverfahren entsprach im Wesentlichen den heutigen Abläufen: Eine von der Rolle ablaufende Papierbahn wurde befeuchtet, erwärmt und durch beheizte Riffelwalzen geführt. Die ausgeklügelte Kombination aus Feuchtigkeit, Wärme und den zahnradähnlich ineinandergreifenden Walzen prägte das Papier in seine charakteristische Wellenform. Anschließend wurde das Wellenpapier per Hand mit einem Deckblatt verklebt. In diesem Verfahren liegt auch der Ursprung der Bezeichnung „Pappe“ – diese basiert nämlich auf dem Ausdruck „Pappen“, wie eben jenes Zusammenkleben damals genannt wurde.
Industrielle Fertigung und Expansion
1875 erfolgte in den USA die Gründung der Thompson & Norris Manufacturing Company. Diese erwarb die Patente von Jones und Long und entwickelte in der Folge eine erste mechanisch betriebene Anlage zur Fertigung einseitiger Wellpappe. Am 17. Januar 1882 erhielt Firmeninhaber Robert H. Thompson schließlich das Patent für die Produktion doppelseitiger Wellpappe mit Deckenpapieren auf beiden Seiten (heute als einwellige Wellpappe bezeichnet). 1883 expandierte Thompson & Norris und errichtete in London die erste Wellpappenfabrik in Europa. In den Folgejahren öffneten weitere Werke in Kirchberg (Deutschland, 1886) und Exideuil-sur-Vienne (Frankreich, 1888), welche ebenfalls mit Anlagen von Thompson & Norris ausgestattet wurden.
Nachdem Jones‘ Patent erloschen war, gründete der Unternehmer Fedor Schoen 1892 das erste unabhängige Wellpappenwerk in Deutschland. Im Auftrag und nach Entwürfen von Schoen entwickelte der Maschinenfabrikant Wilhelm Richter in Breslau die erste Wellpappenanlage in Kontinentaleuropa und avancierte fortan zum weltweit ersten Fabrikanten für Wellpappenmaschinen. Beschränkte sich Fedor Schoen vorerst auf die Fertigung einseitiger Wellpappe (offene Welle), wurde das Angebot nach Verlagerung der Fabrikation nach Köln (1894) auch um doppelseitige (einwellige) Wellpappe erweitert. In den Folgejahren wurden weitere Papierfabriken und Wellpappwerke in ganz Deutschland eröffnet, so etwa in Stuttgart, Berlin, Dresden und Neuss.
Für die Verklebung nutzten die Produzenten verschiedenste Klebstoffe, darunter Kleister, Wasserglas und das noch heute verwendete Stärkegemisch. Wurden anfangs die Deckenpapiere vollflächig mit Kleber bestrichen, ging man in den 1890er Jahren dazu über, stattdessen die Spitzen der Wellen mit Kleber zu versehen. Die Wellpappe konnte so noch maßgenauer gefertigt und Klebstoff eingespart werden. 1895 entwickelte der US-Amerikaner Jefferson T. Ferres für die Sefton Manufacturing Company aus Kokoma die weltweit erste kontinuierlich durchlaufende Wellpappenanlage, welche das Papier gleichzeitig riffelte und verklebte. Die Produktionsgeschwindigkeit konnte so auf 3 Meter pro Minute gesteigert werden. Die Industrie reagierte hiermit auf das rasante Wachstum, welches die Produktion bereits Ende des 19. Jahrhunderts verzeichnen konnte. Die steigende Nachfrage war insbesondere auf eine neuartige Transportverpackung zurückzuführen, die der Wellpappe zum endgültigen Durchbruch verhalf: Die Kartonage.
Als Wellpappe zur Kartonage wurde
Die ersten Kartonagen wurden 1890 durch den Schotten Robert Gair entwickelt. Dieser schnitt Wellpappbögen so zu, dass sich diese zu einem fertigen Karton falten ließen. Dienten Schachteln aus Wellpappe bis dato vornehmlich dem Verpacken von Glas und Porzellan, waren dem Einsatzzweck der neuen Faltvariante nun nahezu keine Grenzen mehr gesetzt. Produktspezifische Vorteile wie Grifffalze oder die unproblematische Entsorgung ausgedienter Wellpappe machten Kartonagen für den Handel äußerst attraktiv und praktikabel. Darüber hinaus bot Wellpappe vergleichbaren Verpackungsschutz wie die bis dahin im Fracht- und Transportwesen üblichen Holzkisten und Behälter, allerdings zu deutlich günstigeren Preisen. Anfang des 20. Jahrhunderts begann die Wellpappe somit, die altetablierten Verpackungen allmählich zu verdrängen. Als treibender Motor für Handel und Export galt die Wellpappenerzeugung schon bald als Spiegelbild der wirtschaftlichen Aktivität eines Landes.
Auf der Suche nach der perfekten Welle
Pappen und Maschinen wurden dank stetig wachsender Nachfrage kontinuierlich weiterentwickelt. 1916 erzeugte die Sefton Manufacturing Company erstmals zweiwellige Wellpappe, damals Doppel-Doppel- oder auch Fünffach-Wellpappe genannt. Hierauf basierend erfolgte wenig später die Entwicklung neuer Wellenarten. Zu der bis dahin bekannten A-Welle mit 4 bis 5 mm Höhe gesellte sich schon bald die feinere B-Welle mit 2 bis 3 mm Höhe. 1929 wurde schließlich erstmals mehrwellige Wellpappe mit verschiedenen Riffelungen – eine fein- und eine grobwellige Wellenbahn – produziert. Das Spektrum der Wellenarten wurde fortan stetig erweitert. Ebenso wurden auch die Wellpappanlagen immer größer und leistungsfähiger. Bis 1940 stiegen die maximalen Arbeitsbreiten von 90 auf 292 cm. In den 1950er Jahren setzte sich schließlich Kartoffelstärke als bevorzugter Klebstoff durch.
FEFCO-Code für Verpackungen aus Wellpappe
1952 erfolgte in Brüssel die Gründung der Europäischen Vereinigung der Wellpapphersteller, besser bekannt als FEFCO (Fédération Européenne des Fabricants de Carton Ondule). Um die aufgrund hoher Variantenvielfalt und exportbedingter Sprachbarrieren zunehmend erschwerte Kommunikation zwischen Kunden und Produzenten zu vereinfachen, wurde in den 1960er Jahren der sogenannte FEFCO-Code etabliert – ein bis heute international gültiger Schlüssel zur Beschreibung von Verpackungsmitteln aus Wellpappe (heute FEFCO-ESBO-Code). Dieser codierte anhand einer vierstelligen Ziffernfolge alle gängigen Formen von Wellpapp-Produkten, beispielsweise „0713“ für eine Faltbodenschachtel mit Einsteckdeckel und Seitenklappen am Rumpf.
Um eine gleichbleibende Qualität der Verpackungen aus Wellpappe zu gewährleisten, wurden schon frühzeitig Mindestanforderungen und entsprechende Prüfverfahren etabliert. Der bereits 1907 in den USA eingeführte „Mullen-Test“ (Berstdruckprüfung nach John W. Mullen) wurde 1959 auch in Deutschland amtlich anerkannt. Umfassende Qualitätsstandards finden sich darüber hinaus in der im Januar 1978 vom Deutschen Institut für Normung veröffentlichten DIN 55468 für Packstoffe aus Wellpappe.
In der jüngeren Vergangenheit konnte die Wellpappen-Industrie immer wieder bemerkenswerte Fortschritte bezüglich der maschinellen Ausstattung erzielen. Bereits zur Jahrtausendwende ermöglichten computergestützte Arbeitsprozesse enorme Produktionsgeschwindigkeiten von bis zu 400 m pro Minute. Bei Arbeitsbreiten von 3,3 m sind moderne Wellpappanlage heute in der Lage, 1.300 m² Wellpappe pro Minute oder 79.000 m² pro Stunde zu produzieren. Dies entspricht einer Fläche von mehr als 11 Fußballfeldern – stündlich! Neben ein- und mehrwelligen Standardausführungen sind auch viellagige Schwerwellpappen für besonders hohe Belastungen verfügbar. Darüber hinaus bieten unterschiedlichste Wellentypen (von der A- bis zur N-Welle mit einer Höhe von lediglich 0,4 mm) bedarfsgerechte funktionale Eigenschaften für nahezu jedes Versandvorhaben. Eben für jeden Zweck die perfekte Welle.
Wellpappe ist in ihrer rund 150-jährigen Geschichte zu einem der weitverbreitetsten Verpackungsmaterialien der Welt avanciert. Von der Halskrause zur Kartonage hat sie einen unvergleichlichen Siegeszug vollzogen, der Ende des 19. Jahrhunderts so sicher nicht abzusehen war. Heute ist sie Transportverpackung erster Wahl, unangefochten, alternativlos und auch in Zukunft kaum wegzudenken.
Tobias Kemper
Unternehmenskommunikation
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