Reliefkunst aus Wellpappe – Schnitzerei mit Tiefgang

Reliefkunst aus Wellpappe – Schnitzerei mit TiefgangArchitektonische Elemente, urbane Strukturen und pulsierende Menschenmengen – Schicht um Schicht schnitzt sich Martin Spengler tiefer in den Karton und legt beeindruckende, dreidimensionale Motive frei. Der gebürtige Kölner fertigt aufwendige Reliefarbeiten aus Wellpappe. Wir hatten kürzlich die Gelegenheit, mit dem Münchner Künstler über sein originelles Werk zu sprechen.

 

Hildebrandt: Herr Spengler, Wellpappe wird in erster Linie mit Kartonagen, weniger jedoch mit Kunst in Verbindung gebracht. Woher rührt die Idee Ihrer ausgefallenen Materialauswahl?

Martin SpenglerSpengler: Ausgangspunkt meiner Materialauswahl war ein Gang zum Altpapiercontainer und ein dort vorgefundener, geschichteter Wellpappenblock. Ich war auf der Suche nach einem Material, das sich skizzenhaft schnell bearbeiten und verändern lassen konnte. Auf die Idee, Wellpappe als künstlerisches Mittel auszuprobieren, kam ich dann während meines akademischen Studiums wieder zurück und habe mich seitdem intensiv damit auseinandergesetzt.

Hildebrandt: Was prädestiniert Wellpappe für den zweckentfremdeten Einsatz als Kunstmedium?

Laolawelle (200 x 150 x 30 cm, 2006)

Laolawelle (200 x 150 x 30 cm, 2006)

Spengler: Es ist der stoffliche Aspekt, der mich an Wellpappe reizt. Das Material ist während meines Arbeitsprozesses nicht vollkommen berechenbar, das heißt es hat ein bestimmtes Eigenleben aufgrund seiner Beschaffenheit. In Verbindung mit Wasser dehnen sich die einzelnen Papierlagen unterschiedlich aus. Ich setze die Wellpappe verschiedenen Einflüssen aus, so zum Beispiel wasserhaltigem Klebstoff, der wiederum auf das Material einwirkt. Der gesamte Entstehungsprozess entzieht sich so zum Teil meinem Einfluss, ich kann da nur korrigierend gegenwirken. Durch das Schnitzen und Modellieren versuche ich, dieses Eigenleben beherrschbar und für das Ziel nutzbar zu machen. Dazu kommt ein gesellschaftlicher Aspekt, der für mich von besonderem Interesse ist. Pappe ist im Grunde ein relativ wertloses Industrie- und Wegwerfprodukt, dem wenig Wert beigemessen wird. Durch meine Bearbeitung setze ich das Material in einen künstlerischen Kontext und verleihe ihm so einen neuen Eigenwert.

Hildebrandt: Ihren Werken liegt eine aufwändige Technik zugrunde. Bitte beschreiben Sie uns einmal den Entstehungsprozess, vom bloßen Wellpappenblock zum fertigen Kunstwerk.

Athen (220 x 300 x 26 cm, 2012)

Athen (220 x 300 x 26 cm, 2012)

Spengler: Nach der Idee zu einem Motiv oder einem Objekt kommt die Recherche zu Bildmaterialien, aus denen ich eine detailgetreue Vorzeichnung anfertige. Die Vorskizze, mit der ich mich wie mit einem Schnittmuster in einen Wellpappenblock mit bis zu 35 cm Dicke hineinarbeite, steht am Anfang des ausführenden Arbeitsprozesses. Daraufhin folgt das Herausschnitzen der Details, das Arbeiten in die Tiefe mit einem skalpellartigen Instrument. Als nächstes wird der gesamte Block zum Härten der Pappe in Leim getränkt. Dann ziehe ich auf der zuvor mit Kalkgrund angestrichenen Objektoberfläche die Schnittkanten mit einem Grafitstift nach.

Hildebrandt: Welcher zeitliche Aufwand ist hierfür erforderlich?

Sollbruchstelle - Centerpoint (2014)

Sollbruchstelle – Centerpoint (2014)

Spengler: Für ein großes Format eines Reliefs von 2 mal 3 Metern brauche ich circa ein halbes Jahr, es kann aber variieren. Natürlich gibt es Werkstücke, die schneller gehen und andere, die länger brauchen. Das heißt aber nicht, dass die Arbeit, die längere Zeit meine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, dann von höherer künstlerischer Qualität ist oder von mir mehr geschätzt wird. Die Zeit nehme ich mir ganz bewusst, um hierdurch auch mal andere Themen zu realisieren, die mir unter den Nägeln brennen. Über einen langen Zeitraum ist so phasenweise weniger Kreativität als Handwerk gefordert. Ich will Dinge schaffen, die nur über die Idee, das Material und einen aufwendigen Arbeitsprozess funktionieren, den man auch physisch spüren soll. Daraus baut sich dann auch der emotionale Wert, also die Verbundenheit zu meinen Arbeiten, auf.

Hildebrandt: Betrachtet man Ihre Werke, fällt der minimalistische Einsatz von Farben auf. Welche Gründe hat Ihr Verzicht auf eine ausgiebige Kolorierung?

Spengler: Die konkreten Motive werden durch die komplexe Bearbeitung zu autonom-abstrakten Bildern, die von Unübersichtlichkeit geprägt sind. In ihnen lösen sich Vergangenheit und Gegenwart vor den Augen des Betrachters auf. Die monochrome weiße Bemalung wirkt hier unterstützend, dient als eine Art Projektionsfläche und lässt das Objekt zeitlos wirken.

Hildebrandt: Ihre Werke umfassen Interpretationen architektonischer Elemente, urbaner Strukturen und pulsierender Menschenmengen. Wie erfolgt Ihre Motivauswahl?

Welle (150 x 200 x 25 cm, 2012)

Welle (150 x 200 x 25 cm, 2012)

Spengler: Auf der Suche nach relationalen Strukturen und signifikanten Phänomenen durchsuche ich meine Umwelt. Das Gewirr von visuellen Eindrücken versuche ich in meinen Werken einzufangen und auf meine Art umzusetzen. Es geht nicht nur um das, was auf dem Relief abgebildet ist, sondern auch um das Bild an sich. Das Relief und das Objekt sollten hauptsächlich aus sich selbst heraus sprechen. Ich gebe damit dem Betrachter auch Anreize zum Nachdenken über Rezeptionsvorgänge und versuche auch bestimmte Mechanismen der Objektwertigkeiten von Materialien, Begebenheiten etc. aufzuzeigen.

Hildebrandt: Würden Sie sich selbst eher als Bildhauer oder Maler bezeichnen?

Spengler: Als Künstler, der sich anfangs mit Bildmotiven, -inhalten und -formen auseinander gesetzt hat, später die Auseinandersetzung mit Bildobjekten suchte und sich nun auch seit geraumer Zeit mit den Fragen der Bildhauerei beschäftigt.

Hildebrandt: Ihre Kunst kann zweifelsohne als besonders bezeichnet werden. Das Medium Wellpappe ist nicht nur außergewöhnlich, das Material offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Welche Reaktionen beobachten Sie bei den Betrachtern Ihrer Werke?

Kathedrale (Skulptur mit Sockel, 2015) und Ränge (2014)

Kathedrale (Skulptur mit Sockel, 2015) und Ränge (2014)

Spengler: Die Leute sind von den Objekten beeindruckt. Hier verbinden sich wohl visuelle Intensität, Ästhetik und Innovation. Die Erkenntnis, dass es aus Wellpappe gefertigt ist, hinterlässt beim Betrachter jedoch auch Verwirrung und Verunsicherung. Viele denken zunächst, die Objekte seien aus Holz. Für sie erscheint Wellpappe nicht solide und dauerhaft. Dem Betrachter stellt sich daher direkt die Frage nach der Haltbarkeit, aber auch der Entstehung und dem Arbeitsaufwand. Bei einer Ausstellung in Frankfurt kommentierte Jean-Christophe Ammann meine Reliefs mit den Worten „Der muss ja verrückt sein, das ist ein echter Künstler für mich!“.

Hildebrandt: Wo besteht die Möglichkeit, sich einen persönlichen Eindruck Ihrer Arbeit zu verschaffen?

Spengler: Bei Interesse kann man sich auf meiner Homepage www.martin-spengler.de und in meinen Galerien informieren. Eine andere Möglichkeit ist die, mich per E-Mail (martinfspengler@googlemail.com) anzuschreiben. Ich nehme immer gerne Interessenten in meinen E-Mail-Verteiler auf, um über neue Ausstellungstätigkeiten zu informieren.

Hildebrandt: Herr Spengler, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und das informative Gespräch.

 

Das Interview wurde geführt von Tobias Kemper. Weiterführende Informationen über Martin Spengler und seine Werke finden Sie hier.

 

 

 

Tobias Kemper
Unternehmenskommunikation