Wie Wellpappe Schicht für Schicht zum Kunstwerk wird

Ganz ehrlich, hätten Sie vermutet, dass diese beeindruckend detailreichen Bilder aus Wellpappe bestehen? Vermutlich nicht, denn auf dem ersten Blick sind die Bilder von Lilith Lindner kaum von gemalten Bildern zu unterscheiden. Tatsächlich handelt es sich bei ihren Werken aber um Scherenschnitte aus Wellpappe. Die Künstlerin, die an der niederländischen Akademie der Bildenden Künste in Maastricht studiert hat, beschäftigt sich nur zu gern mit vorgefundenen, alltäglichen Materialien wie z.B. alten Verpackungskartons und spielt mit deren Materialbeschaffenheit. Mit einem scharfen Messer arbeitet sie sich in die Tiefe der Wellpappe, bis sich zuvor verborgene Schichten und Materialstrukturen zu einem neuen Bild zusammenfügen. Die geschnittenen und zum Teil gerissenen Papp-Reliefs zeigen existierende Stadtszenen mit z.B. barocken Fassadenelementen, Kombinationen von Hochhäusern oder Hotels. Dabei geht es Lilith Lindner mehr um das Atmosphärische als um konkrete Darstellung bei gleichzeitigem Wiedererkennungswert von Orten und Bauten.

Wir haben mit Lilith Linder über ihre Arbeit gesprochen:

Frau Lindner, wie entstand die Idee, Scherenschnitte aus Wellpappe zu kreieren? Und was fasziniert Sie an Häuserfassaden?

Die Idee entstand, als ich beim Aufräumen meines Ateliers einen Verpackungskarton klein gerissen habe und dabei auf die Unterschiedlichkeit und Schönheit der sonst verborgenen Ebenen aufmerksam wurde. An Häuserfassaden fasziniert mich neben der Architektur das Erlebte, das sie teilweise ausstrahlen.


Ihre Werke strahlen einen Hauch Nostalgie aus. Begeistert Sie mehr der Glanz von alten Bauwerken oder sehen Sie auch in moderner Architektur einen Reiz für Ihre Kunst?
Tatsächlich finde ich die Geschichte oder Ausstrahlung eines Gebäudes häufig noch spannender als die Architektur. Für mich wird ein Gebäude interessant, wenn ich das dort stattgefundene Leben sehen oder spüren kann. Wenn ich dieses Gefühl bei einem modernen Gebäude habe, ist es für meine Kunst genauso interessant wie ein altes Gebäude.


Wo finden Sie Ihr Arbeitsmaterial?
Genau wie bei meinen Motiven suche ich nach Arbeitsmaterial mit einer Geschichte. Deshalb verwende ich keine neu gekauften Pappen, sondern suche ständig und überall nach interessanten Wellpappen. Es kann z.B. passieren, dass ich zum Supermarkt fahre und anstelle von Lebensmitteln einen Kofferraum voll Wellpappe mit nach Hause bringe.


Was macht Wellpappe zum idealen Ausgangsmaterial? Oder gibt es sogar Grenzen/
Herausforderungen bei der Arbeit mit Wellpappe?

Es gibt viele Grenzen, besonders was die Feinheit der Darstellung betrifft.
Aber genau dieser Gegensatz von grobem Material und einer detaillierten, realistischen Abbildung macht das Material für mich sehr spannend.


Welche Werkzeuge benutzen Sie? Handelsübliche Scheren und Cutter?
Ja, ich benutze zum Schneiden ein ganz gewöhnliches Cuttermesser.


Wie lange brauchen Sie im Schnitt für ein Werk und wie läuft der Schaffensprozess ab?
Leider sehr lange. Für eine Arbeit benötige ich je nach Größe zwischen ein paar Tagen und
mehreren Wochen. Zuerst zeichne ich das Bild auf die Wellpappe und dann arbeite ich mich Schicht für Schicht in das Material hinein.


Wovon lassen Sie sich für neue Werke inspirieren?
Inspiration finde ich in meiner Umgebung. Die von mir dargestellten Gebäude existieren alle und ich bin immer auf der Suche nach spannenden Gebäuden, die eine besondere Geschichte erzählen.


Haben Sie sich schon einmal kurz vor Fertigstellung so arg verschnitten, dass mehrere Stunden Arbeit umsonst waren?
Das werde ich häufig gefragt. An irgendeiner Stelle verschneide ich mich bei fast jedem Bild, aber bisher habe ich zum Glück immer einen Weg gefunden, die Arbeit fertig zu stellen. Und meistens gewinnt die fertige Arbeit durch diese kleinen Änderungen und Abweichungen an Stärke.


Was sind Ihre nächsten Projekte? Gibt es ein Traum-Projekt, das Sie gern realisieren möchten?
Zum Glück gibt es nicht das eine Traumprojekt, weil was käme dann danach? Ich brenne eigentlich immer für die Arbeit, mit der ich mich gerade beschäftige.
Aktuell arbeite ich an einem Fabrikgebäude, das ich in Aachen gefunden habe. In Aachen bin ich aufgewachsen und eine meiner Galerien ist dort.

Weitere Infos zu Lilith Lindner finden Sie hier.

Janina Ohrtmann
Unternehmenskommunikation & Marketing

Fotos: Lilith Lindner

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