Die Papiertragetasche – Spiegelbild deutscher Konsumentwicklung

Das Verpackungsangebot ist heute vielfältiger denn je. Egal, was es zu verpacken gilt, verschiedenste Materialien und Techniken bieten stets vielfältige Möglichkeiten. In unserer neuen Serie „Packende Geschichten“ führen wir Sie zu den Ursprüngen heutiger Verpackungsklassiker. Beginnen möchten wir mit der Papiertragetasche. Wir werfen einen Blick auf ihre Entstehungsgeschichte, von historischen Hintergründen über die Entwicklung des Tragegriffs bis zum gefeierten Massenprodukt.

Ob aus Papier, Stoff oder Plastik – Tragetaschen sind in unserer heutigen Konsumgesellschaft allgegenwärtig. Als unverzichtbare Begleiter ermöglichen sie ein komfortables Transportieren auch größerer Einkäufe – und das mit nur einer Hand! Möglich macht dies der Tragegriff – heute eine Selbstverständlichkeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine regelrechte Sensation. Eine freie Hand während des Einkaufs war zu Zeiten henkelloser Beutel bloßes Wunschdenken. Die Ausstattung mit einer Tragevorrichtung erscheint heute zwar naheliegend, erfolgte damals jedoch erst durch die steigende Nachfrage einer wirtschaftlich prosperierenden Gesellschaft.

Als der Einkauf zum Erlebnis wurde

Die Entwicklung der Papiertragetasche ist somit vor allem Spiegelbild der Konsumentwicklung in Deutschland. Galten Einkäufe bis Mitte des 19. Jahrhunderts vornehmlich der Beschaffung von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern (Versorgungseinkauf), hielt in den folgenden Jahrzehnten der Trend zum Erlebniseinkauf hierzulande Einzug. Ein gesellschaftlicher Wandel, den bereits Theodor Fontane in seinem Werk „Irrungen – Wirrungen“ von 1888 zu Papier gebracht hatte. „Nun war Juni 1878. Frau von Rienäcker fuhr täglich in die Stadt, um Einkäufe zu machen, und wurde nicht müde zu versichern, wie sie jetzt erst das so hoch in Gunst und Geltung stehende ,shopping‘ der englischen Damen begreifen lerne: So von Laden zu Laden zu wandern und immer hübsche Sachen und höfliche Menschen zu finden, das sei doch wirklich ein Vergnügen und lehrreich dazu.“, heißt es in Fontanes Roman.

Der „Einkaufsbummel“ traf den Zeitgeist einer deutschen Gesellschaft, deren Kaufkraft infolge wirtschaftlichen Aufschwungs kontinuierlich gestiegen war. Ob mondäne Boulevards (z. B. Kurfürstendamm, ab 1881) oder palastartige Warenhäuser (z. B. Kaufhaus des Westens, ab 1907) – das Flanieren an der „ersten Adresse am Platze“ wurde als gesellschaftliches Ereignis empfunden. Während die Händler zunehmend um die Gunst der Kunden warben, entwickelte sich auf Käuferseite ein Verlangen nach Bequemlichkeit – auch was das Transportieren getätigter Einkäufe betraf. Wurden Waren traditionell mit Papierbogen und Bindfaden oder grifflosen Beuteln verpackt, war nun eine zeitgemäße Transportverpackung gefragt, die dem Anspruch nach Moderne, Tempo, aber auch Müßiggang gerecht wurde. Die Antwort lieferte die papierverarbeitende Industrie Anfang des 20. Jahrhunderts in Form erster Tragetaschen.

Mit Griffloch oder Kordel – die Papiertragetasche vor 1945

Bereits 1903 erschien der „Pompadour“, ein Papierbeutel mit einer Zugschnur zum Verschluss. Die Lochausstanzungen waren mit Ösen verstärkt, um ein Ausreißen der Schnur zu verhindern. Eine lange Kordel erlaubte wenig später auch ein bequemes, über den Arm gelegtes Tragen des Beutels. 1907 folgte eine Tasche mit Schnurgriff. Der Clou: Die Schnur war so angebracht, dass die Tasche durch das Gewicht der Ware selbstständig geschlossen wurde. Somit war kein gesonderter Verschluss mehr erforderlich. Im selben Jahr erschien zudem eine erste Papiertragetasche mit Tragegriffausschnitt. Der Beutel war im oberen Teil mit einem festen Papierstreifen verstärkt und eignete sich ideal für leichtere Waren wie Handschuhe oder Krawatten. Doch die Taschen erhöhten nicht nur den Tragekomfort: Die Zeitersparnis beim Einpacken senkte Personalkosten und Wartezeiten. Darüber hinaus fungierte die Papiertragetasche dank Werbeaufdrucken als kostengünstige Reklame.

Bis Ende der 1920er Jahre hatte das Angebot an Tragebeuteln und -taschen weiter zugenommen. Besonders gefragt waren geklebte Taschen aus starkem Sulfit-Zellstoff- oder Natron-Kraftpapier in einfacher oder gefütterter Ausführung. Die Taschen waren sowohl in flacher Beutelform mit Kreuzboden wie auch mit Seitenfalte und Klotzboden erhältlich. Ein Kordelzug diente gleichermaßen als Verschluss und Träger. Darüber hinaus gab es genähte und geklebte Beutel aus Krepppapier (einfach oder doppelt gefüttert), die mit einem doppelten Bänderzugverschluss ausgestattet waren, sowie die altbekannten „Pompadours“ (auch Kordelzugbeutel genannt). Im Rahmen des ersten Vierjahresplanes des NS-Regimes wurde die gesamte Tragetaschenproduktion 1936 jedoch eingestellt und erst rund 20 Jahre später wieder aufgenommen.

Von der Wiederentdeckung zum Massenprodukt

Nach Kriegsende vollzog sich in Deutschland der allmähliche Wandel vom Bedienungs- zum Selbstbedienungssystem. Zwischen 1949 und 1959 stieg die Anzahl der SB-Märkte von zwanzig auf nahezu zehntausend (9.676). Der Einsatz vorverpackter Waren löste das jahrhundertelange Prinzip des Loseverkaufs ab und regte die Kundschaft zu Spontan- bzw. Impulseinkäufen an. Der zunehmende Konsumrausch der Deutschen ließ auch die Papiertragetasche in ihrer Bedeutung wieder steigen: Die kostenlose Bereitstellung sollte der Kundschaft auch ungeplante (umsatzfördernde) Einkäufe ermöglichen. Darüber hinaus waren es die altbekannten Argumente wie der schnellere Abbau von Warteschlangen, Einsparungen von Personal und Kassen, Zeitgewinn und Tragekomfort für Kunden sowie insbesondere die hohe Werbewirkung, welche der Papiertragetasche schließlich den Durchbruch zum Massenprodukt ermöglichten.

Die Produktionszahlen stiegen rasant von 680 Millionen (1965) auf nahezu eine Milliarde im Jahr 1968. Mitte der 60er Jahre hatte sich die Papiertragetasche somit längst als unverzichtbare Transporthilfe etabliert. Neben den traditionellen Ausführungen mit Kordelgriff und Grifflochausstanzung waren mittlerweile auch Griffvarianten aus Kunststoff und Papier auf dem Markt vertreten. Beutel mit Kunststoffgriff erlaubten erstmals eine uneingeschränkte Bedruckung der Außenflächen (keine Ausstanzungen etc.). Die Griffe wurden innenseitig eingeklebt und mit einem Verstärkungsblatt gesichert. Doch obwohl Taschen mit Kunststoffgriff als überaus belastbar galten, blieb die Nachfrage aufgrund ihres hohen Preises überschaubar. Geschichte schrieb dagegen eine Griffvariante, die bereits 1946 in den USA entwickelt worden war: Der Papiergriff. Nach Optimierung des Fertigungsprozesses – die Henkel wurden maschinell gefertigt / gefaltet und von Hand aufgeklebt – erfolgte 1956 die Markteinführung in Deutschland. Nach anfänglichen Schwierigkeiten avancierte die neuartige Technik unter massivem Werbeaufwand zum Erfolgsmodell und bildete fortan das (auch heute noch) allgemein übliche Griffsystem für Papiertragetaschen.

Doch ein konkurrierender Werkstoff sollte die Papiertragetasche alsbald von ihrer marktführenden Position verdrängen. Lesen Sie in der nächsten Ausgabe alles über die Trendwende von Papier zu Kunststoff sowie den rasanten Aufstieg der Plastiktragetasche.

Übrigens: Die Papiertragetasche ist auch im Angebot der Paul Hildebrandt zu finden. Mehr dazu erfahren Sie hier!

Tobias Kemper
Unternehmenskommunikation